Episode 8 – Change Management

„Wind of Change“ von den Scorpions, „The Times They Are a-Changin’“ von Bob Dylan oder „Changes“ von David Bowie – das Thema Change – Veränderung – wurde von zahlreichen Musikern aufgegriffen und unterschiedlich interpretiert und verarbeitet. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Change im wirtschaftlichen Zusammenhang – auch hier gibt es zahlreiche unterschiedliche Herangehensweisen und Auslegungsarten. Aber Fakt ist: Noch nie mussten sich Unternehmen so schnell und so regelmäßig an interne als auch externe Veränderungen anpassen wie heute. Und jede Veränderung wirkt sich auch auf seine Mitarbeitenden aus. Gerade in Sondersituationen wie einer Restrukturierung oder Sanierung – in denen es mitunter zu extremen Veränderungen kommt – kommt daher dem Change Management daher eine große Bedeutung zu. Denn ohne eine Belegschaft und eine Führungsmannschaft, die bereit ist, die Veränderung mitzugehen, sind die beste Restrukturierungs- oder Sanierungsbemühungen aussichtslos. Nick Piepenburg von Turnaround Management Partners und Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun, die schon viele Unternehmen durch Krisen geleitet haben, sprechen über die Bedeutung von Change Management in Sondersituationen und darüber, was eine gute Mischung aus Change und Prozess Management ausmacht.

Matthias Braun: Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von Listen. Restructure. Restructum. Mein Name ist Matthias Braun, und ich möchte heute mit zwei Experten zum Thema Change Management in Restrukturierungen und Sanierungen sprechen. Denn es ist ja so, dass Unternehmen sich noch nie so schnell und so regelmäßig an interne und auch externe Veränderungen anpassen mussten wie heute. Und ganz klar ist, dass sich jede Veränderung auch auf die Mitarbeitenden auswirkt. Besonders wenn in Sondersituationen wie Restrukturierungen oder Sanierungen alles unter enormen Zeitdruck erfolgen muss, und es auch zu teilweise extremen Veränderungen kommt, kommt dem Change Management eine große Bedeutung zu. Es freut mich sehr, dass ich heute mit zwei Experten zu Sondersituationen sprechen kann: Nick Piepenburg von Turnaround Management Partners und Dr. Jürgen Erbe von Schultze & Braun. Beide sind Sanierungs- und Restrukturierungsexperten, die schon viele Unternehmen durch Krisen begleitet haben, und die einiges über die Bedeutung von Change Management in Sondersituationen erzählen können. Herr Piepenburg, Herr Erbe schön, dass Sie hier sind.

Dr. Jürgen Erbe: Hallo

Nick Piepenburg: Hallo Herr Braun, ich freue mich dabei zu sein.

Matthias Braun: Lassen Sie uns direkt in die Praxis einsteigen. Herr Erbe, Herr Piepenburg, wo beachten oder beobachten Sie denn Change-Prozesse in der Restrukturierung.

Dr. Jürgen Erbe: Ich würde mal starten mit meiner Beobachtung. Danach ist es so, dass ein Change- bzw. Restrukturierungsprozess schon ganz früh beginnen kann. Immer wenn ein Unternehmen merkt: Es läuft nicht mehr so wie es eigentlich laufen sollte, dann muss man sich ja über die Hintergründe Gedanken machen. Und vor allem auch Gedanken machen wie man die Dinge ändern kann, dass sie sich wieder zum Guten wenden.

Dazu braucht es ein ganz guten und ausgefeilten Mix von Change- und Prozess-Management. Zum einen muss man sich so aufstellen, dass man auch weiterhin wettbewerbsfähig bleiben kann, und dazu muss ich meistens das eigene Unternehmen an den Markt erneut anpassen oder zumindest versuchen mit den Gegebenheiten der Zeit mitzugehen. Und dass das immer auch zu Veränderungen von Abläufen oder im Aufbau des Unternehmen führen kann, das liegt dann auf der Hand. Man muss sich deshalb die Frage stellen, wie man sich an die neuen Marktgegebenheiten anpassen kann und was ich alles ändern muss.

In einer Restrukturierung stellt sich dann natürlich die Frage immer unter einem gewissen Zeitdruck, weil die Restrukturierung tendenziell etwas spät angegangen werden und deshalb der Zeitdruck umso höher ist. Deshalb ist es ganz wichtig, auch wenn man die Problematik kennt, dass man sich diese immer wieder vor Augen führt und die Restrukturierung so früh als nur möglich einleitet, sobald einem bewusst wird, dass diese aufgrund von geänderten Marktverhältnissen notwendig wird.

Nick Piepenburg: Absolut. Vielleicht kann ich das noch ergänzen aus meiner Erfahrung. Also wir sehen tatsächlich, dass viele Change-Management-Prozesse erst dann angegangen und eingeleitet werden, wenn ein gewisser Druck schon entstanden ist. Das heißt das kann zum Beispiel ein Druck aus gewissen Marktveränderungen sein, oder einfach ein interner Druck aus schlechten Financials vielleicht schon konkreten Liquiditätsbedarfen, oder schon durch konkreten Anforderungen zum Beispiel von Banken.

Die Unternehmen stehen dann immer in dem Spannungsfeld zwischen „Wollen“ und „Können“. Für einen erfolgreichen Change Management Prozess braucht es natürlich beides. Solche Prozesse ziehen sich dann auch durch komplette Unternehmen. Das heißt durch die komplette Struktur des Unternehmens und wir unterscheiden hier quasi als Restrukturierungsberater und dann auch entsprechend in den Sanierungskonzepten, die wir mit erarbeiten. In der Regel unterscheiden wir zwischen drei Bereichen – einmal die strategischen, die finanziellen und die operativen Themen und damit ist dann oftmals das komplette Unternehmen erfasst. Was ganz klar ist, wenn einmal die Entscheidung zur Restrukturierung getroffen ist, dann ist der Change-Management-Prozess ein sehr langer Veränderungsprozess.

Matthias Braun: Ja das sind schon einmal sehr spannende Eindrücke gewesen, gerade auch was Sie jetzt beschrieben haben Herr Piepenburg, dass es in dem Falle auch gerade das gesamte Unternehmen umfasst. Das ist naheliegend, aber man muss sich das doch immer mal in den Kopf rufen, dass das ja nicht nur so eine punktuelle Sache ist. Konkret gefragt – da Sie ja in vielen Restrukturierungs- und Sanierungs-Fällen tätig waren – was sind denn die Herausforderungen? Also worauf kommt es denn an, wenn man einen Restrukturierungsprozess erfolgreich absolvieren will?

Dr. Jürgen Erbe: Ich denke am meisten kommt es darauf an – wie Nick Piepenburg auch schon gesagt hat – dass man alle Bereiche des Unternehmens durchleuchtet. Ein Restrukturierungsprozess kostet sehr viel Zeit, Energie und meistens auch Geld. Da gibt es keine zweite Chance, das heißt man muss in dem Restrukturierungsprozess, in den man dann geht, mit vereinten Kräften gehen und sich alle drei Bereiche – die Nick Piepenburg genannt hat – auch genau anschauen.

Man darf keinen Bereich vernachlässigen. Und dann gehört es dazu, wenn man die Ziele und die Bedarfe aus allen drei Bereichen ermittelt hat, entsprechende Maßnahmen aufzustellen, um diese Ziele in jedem der einzelnen Bereiche auch zu erreichen. Dazu ist es ganz wichtig, dass man auch die Zielgruppen definiert.

Zielgruppen können sowohl intern im Unternehmen gefunden werden, das bedeutet man muss die eigenen Mitarbeiter mitnehmen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Man muss aber selbstverständlich auch – wie man so schön sagt – alle Stakeholder mit an einen Tisch holen. Dazu gehören Kunden, Lieferanten , Organisationen, Arbeitnehmervertretungen. Also auch ganz viele externe Player, die ein Unternehmen benötigt, um erfolgreich am Markt tätig zu sein, müssen mit in den Restrukturierungsprozess eingebunden werden zu verschiedenen Zeitpunkten. Das ist ganz klar.

Aber um einen Restrukturierungs- bzw. Change-Management-Prozess sinnvoll oder zielführend und erfolgreich abschließen zu können, ist es ganz wichtig, zu gegebener Zeit sowohl die internen als auch die externen Beteiligten an diesen Change-Prozess teilhaben zu lassen.

Matthias Braun: Das stelle ich mir jetzt alles andere als einfach vor, weil man dann natürlich auch unter hohem Zeitdruck arbeitet und alle auch mit an einen Tisch holen soll bzw. allen dann auch vermitteln soll, warum sie da an der Restrukturierung mit dabei sind. Das ist ja wahrscheinlich auch manchmal fast ein Kulturbruch, also wenn ich jetzt zum Beispiel an den Einkauf denke der dann mit den Lieferanten verhandeln muss und über Preise sprechen muss, die er vorher vielleicht niemals verhandelt hätte. Das ist ja dann wirklich eine Thematik, bei der man einen kulturellen Change auch vornehmen muss. Herr Piepenburg, an Sie die Frage:- Wie kann man vorgehen, um Mitarbeiter dann auch genau in so einem Fall auch abzuholen und mitzunehmen?

Nick Piepenburg: Ich glaube hier ein ganz wesentlicher Punkt ist die Transparenz und die Klarheit in der Kommunikation. Das heißt an erster Stelle – und das passiert vielleicht noch hinter verschlossenen Türen – geht es darum, ein klares und ganzheitliches Konzept zu erarbeiten. Sobald dies geschehen ist, geht es dann darum das ganze zu operationalisieren und in die Umsetzung zu bringen. Das heißt man muss sich genau überlegen wie das Ganze implementiert werden soll – ein sogenanntes Implementierungskonzept.

Und dann muss man sich überlegen, wie man seine Projektorganisation aufbaut. Wer ist eigentlich an welcher Stelle für welche Bereiche verantwortlich? Und in letzter Instanz ist dann noch notwendig, dass man dann die Umsetzung auch entsprechend überprüft und controllt – Umsetzungscontrolling wäre hier das Stichwort.

Sobald dies alles steht, geht es an die Kommunikation, und an der Stelle geht es dann darum, die ganze Mannschaft, die Belegschaft und aber auch die von Herrn Dr. Erbe genannten anderen Stakeholder mit ins Boot zu holen. Jeden eigentlich mit einer individuellen Ansprache und je nach Wissensstand vielleicht auch ein bisschen im Detailgrad abgestuft.

Wir erleben in der Praxis ganz oft, dass die Belegschaft dann sagt „Endlich wissen wir, wo die Reise hingeht, endlich verstehen wir, was wir jetzt zu tun haben“ und da birgt quasi die Restrukturierung eine gewisse Chance und verbreitet auch an gewissen Stellen eine Aufbruchstimmung, durch die endlich mal der Belegschaft oder auch anderen Stakeholdern klar kommuniziert wird, wo eigentlich die Reise hingehen soll.

Wenn man das Zielbild klar definiert hat, und eben aber auch schon in tägliche Aufgaben umgesetzt hat. Das heißt wir müssen wirklich versuchen das gesamtheitliche Bild, das wir am Ende erreichen wollen, zu operationalisieren und in kleine Schritt herunter zu brechen und dann auch Verantwortlichkeiten verteilen innerhalb der Organisation, sodass jeder seinen Beitrag leisten kann.

Und hieraus entsteht dann quasi der gesamte Change-Management-Prozess und ist an den Stellen eben auch gut zu kontrollieren, gut zu führen und dadurch, dass die Leute daran mitarbeiten, sind sie automatisch mit im Boot. Und das sind dann eben auch wichtige Bestandteile, um den Prozess dann am Ende erfolgreich umzusetzen.

Matthias Braun: Sie haben jetzt auch einen ganz wichtigen Punkt aus meiner Sicht genannt – also die Transparenz. Ich glaube das ist wirklich etwas, wenn die Mitarbeitenden wissen, wohin geht die Reise, dann sind sie da in der Tat wahrscheinlich eher dazu bereit, dann auch eben mal diesen – ja , man könnte fast sagen – Veränderungsschmerz auch mitzutragen, oder den sozusagen auch auszuhalten. Wenn Sie jetzt beide in Ihre Praxisfälle schauen. Es gibt ja mit Sicherheit die Mitarbeitenden die sagen „Ja okay verstehe ich, mache ich mit/bin ich dabei“, wahrscheinlich aber genauso auch das Gegenteil. Kann man da so ein bisschen sagen: Es gibt so Typen von Mitarbeitenden, die man á la „Ich kenne meine Pappenheimer“, einordnen kann?

Dr. Jürgen Erbe: Ja da gibt es verschiedene Untersuchungen mittlerweile auch dazu und auch Studien. Meines Erachtens muss man auch auf dieser Ebene wieder zwischen „Können“ und „Wollen“ trennen. Nick Piepenburg hat es schon angesprochen.

Das Können ist die eine Seite, da gab es eine Studie des Harvard Business Review, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Mitarbeiter viel mehr zu leisten vermögen, als Ihnen die Vorgesetzten häufig zutrauen. Das heißt: Am Können scheint es im Change Management nur selten zu scheitern.

Das Wollen und die innere Motivation der Mitarbeiter, da gibt es eine andere Untersuchung dazu, und da war die interessante Erkenntnis, dass nur ein einstelliger Prozentsatz der Mitarbeiter tatsächlich bereit ist, aktiv an einem Veränderungsprozess mitzuwirken. Das heißt, diesen Veränderungsprozess aktiv zu unterstützten.

Und dann gibt es Abstufungen bei der Motivation der Mitarbeiter:

  • Diejenigen die sich von dieser kleinen Gruppe anstecken lassen.
  • Dann gibt es die, die zwar davon überzeugt sind, dass man einen Veränderungsprozess braucht um das Unternehmen langfristig wieder erfolgreich zu machen. Die aber selbst nie auf die Idee gekommen wären, da selbst die Initiative zu ergreifen und auch etwas zögerlich sind wenn es darum geht diesen Prozess zu unterstützen.
  • Und das ist rein statistisch betrachtet die größte Gruppe – das ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen individuell verschieden – aber rein statistisch betrachtet ist die größte Gruppe die derjenigen, die erstmal abwarten, wie sich denn so ein Veränderungsprozess anlässt im Unternehmen. Ob die Dinge die da in den ersten Tagen/Wochen passieren, ob das wirklich einen sinnvollen Eindruck macht und wenn dem so ist, dann ist diese größte Gruppe bereit sich denjenigen anzuschließen, die diesen Change-Prozess vorantreiben wollen.

Deshalb ist es auch ganz wichtig, dass der Change-Prozess von Anfang an gut kommuniziert und gut aufgebaut ist und nicht nach einen konzeptlosen „Probieren wir mal“ aussieht. Weil dann hat man das Problem, dass sich die größte Gruppe von den Veränderern im Unternehmen abwendet und sich auf die andere Seite schlägt – nämlich derjenigen, die diesen Change-Management-Prozess nicht mitbegleiten wollen. Die wird es immer geben in einem Unternehmen, weil der Mensch grundsätzlich nicht dafür bestimmt ist, Veränderungen herbeizuführen. Die Skepsis überwiegt, das ist ganz normal. Deshalb wird es immer Leute geben, die sich an einem Change-Prozess nicht beteiligen wollen – die werden das Unternehmen verlassen. Das muss man sich vorab vor Augen führen, weil ansonsten wird es zu bösen Überraschungen führen wenn plötzlich die Belegschaft abwandern, weil sie die Veränderung nicht mit machen wollen. Das ist eine Kalkulation die man von Anfang an in Betracht ziehen sollte.

  • Und dann hat man die offenen Gegner, die zwar nicht davon laufen aus dem Unternehmen, aber aktiv Stimmung gegen die Veränderungsprozesse machen und diejenigen, die zwar nicht aktiv Stimmung machen, aber so vor vorgehaltener Hand gegen den Veränderungsprozess wettern und versuchen die größte Gruppe zu verunsichern.

Das ist so der Querschnitt, rein statistisch betrachtet, durch die Mitarbeiterschaft, die es in einem Change-Prozess, aber auch in einem Restrukturierungsprozess – der ja nur ein Change-Prozess der speziellen Art ist – die es gilt mitzunehmen.

Matthias Braun: Ja das ist definitiv ein interessanter Aspekt. Also ich habe jetzt gerade schon mitgenommen, dass man in dem Falle das Große und Ganze denken muss, gleichzeitig aber auch sehr kleinteilig unterwegs sein muss. Also eben auch die unterschiedlichsten Szenarien, unterschiedlichste Emotionen, menschlichen Züge quasi mitreinnehmen muss. Ich würde jetzt nochmal gerne auf dieses große Ganze zurückkommen, weil man ja – das haben Sie Herr Erbe gerade gesagt– also eine Restrukturierung dann auch entsprechend gut planen muss und gut vorbereiten muss, dass es eben nicht wie so ein „Ich probiere mal aus“ aussieht. Das spielt ja auch – Herr Piepenburg – das Sanierungsgutachten eine große Rolle. Sie erstellen solche Sanierungsgutachten ja regelmäßig und beschäftigen sich sozusagen damit „Was steht am Ende dieser Restrukturierung oder Sanierung?“. Wie gehen Sie denn da vor?

Nick Piepenburg: Genau, vielleicht einen Schritt zurück. Grundsätzlich ist ja ein struktureller Wandel passiert bei vielen Unternehmen. Und viele Unternehmen müssen sich aufgrund von ständigem Wandel in Märkten etc. verändern. Das wird aber oft verschlafen oder nicht ernst genommen.

Anders ist das in der Restrukturierung. Da ist der Druck schon da, und da kann das Ganze ein gewisser wake-up-call entsprechend sein – im positiven Sinne. Weiterhin ist es da aber auch dann so, dass man schon einen gewissen Formalismus auch für das Change-Management hat und das ist eben der von Ihnen angesprochene IDW-Standard 6, der sogenannte S6 für die Erstellung von Restrukturierungsgutachten.

Der gibt quasi schon gewissen Leitplanken vor, an die man sich quasi bei der Restrukturierung zu halten hat und an der man den Chance-Management-Prozess dann ausrichten sollte. Dieser Standard erfordert zum einen ein Leitbild des sanierten Unternehmens mit dem entsprechenden Geschäftsmodell dahinter. Als Sanierungsgutachter ist es dann unsere Aufgabe, quasi dieses Leitbild zu beurteilen, um eben auch die Umsetzbarkeit zu beurteilen. An der Stelle ist es auch Teil des Gutachters, zu beurteilen, ob das Unternehmen in der Lage ist diese Veränderung vorzunehmen und auch entsprechend umzusetzen.

Das Stichwort hier ist dann ein realisierbares und zukunftsfähiges Geschäftsmodell. Das ist das eine und zum anderen werden auch konkrete Anforderungen an den Umsetzungsgrad schon gestellt. Für ein positives Sanierungsgutachten muss dieses schlüssige Sanierungskonzept auch mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt sein. Da sprechen wir dann wieder von konkreten Operationalisierungen die schon angestoßen sein müssen. Am Ende muss das Ganze dann bei objektiver Betrachtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem sanierten Unternehmen führen und das in Summe ergibt dann – ein bisschen vereinfacht gesprochen – ein positives Sanierungsgutachten und eben gewisse Anforderungen, die hier schon erfüllt werden müssen.

Matthias Braun: Jetzt haben wir sehr viel sehr Interessantes direkt schon gelernt oder auch mitbekommen über die Restrukturierung und wie man dann eben unterschiedliche Zielgruppen mitnimmt. Wie auch in dem Fall die Komplett-Lösung, das große Ganze aussehen kann. Jetzt ist schon mehrfach zwischendrin angeklungen, dass aber viele Restrukturierungen eben auch zu spät, oder nicht rechtzeitig zumindest angegangen werden. Um vielleicht sozusagen nochmal einen Schritt zurück zu gehen an den Anfang. Wie sehen Sie zum Beispiel, dass seit dem 1. Januar 2021 mit dem StaRUG eigentlich ja ein vorinsolvenzliches Verfahren existiert, also hat das aus Ihrer Sicht dazu beigetragen da noch so einen Kulturwandel hin zu einer früheren Restrukturierung, zu einer Sanierung dann eben auch zu unterstützen, oder ist das noch ein Weg der einfach noch gegangen werden muss – weil die Veränderung ja noch als so eine Art Tabuthema gesehen wird?

Dr. Jürgen Erbe: Ich denke die geringe Anzahl der Fälle lässt zunächst darauf schließen, dass sich keine wirkliche Veränderung eingestellt hat. Sonst hätte man ja seit Januar 2021 mehr Fälle gesehen. Auf der anderen Seite kann man dieses Argument vielleicht auch dadurch entkräften, dass der notwendige Anwendungsbereich einfach nicht gegeben war.

Das StaRUG zielt ja auf die Restrukturierung der Passiv-Seite ab. Aber bestimmte insolvenzrechtliche Sanierungserleichterungen wie Insolvenzgeldeffekt, Beendigung von Vertragsverhältnissen u.s.w. – wir kennen dieses Thema ja alle – sind im StaRUG ja gerade nicht gegeben. Ich denke vor der Corona-Krise war die Notwendigkeit nicht wirklich gegeben um ein solches StaRUG-Verfahren zu durchlaufen. Falls es da das StaRUG schon gegeben hätte, wäre es nicht notwendig gewesen, weil die Unternehmen eine recht geringe Verschuldung aufwiesen. Bei den meisten Unternehmen in Deutschland lief es einfach vor Corona viele Jahre lang richtig gut. Und jetzt hat man die Corona-Krise durchlebt, hat durch Überbrückungskredite, durch Hilfskredite, KfW-Darlehen das Verschuldungslevel der Unternehmen verschlechtert.

Man hat quasi die Passiv-Seite aufgebaut und jetzt kommen aber die nächste Krisen dazu – Ukrainekrise, Lieferkettenkrise, Rohstoffkrise – sodass es vermutlich nach meiner Einschätzung mit einer reinen Restrukturierung der Passiv-Seite einfach nicht mehr getan ist, obwohl man jetzt die Passiv-Seite hätte, um die Unternehmen zu restrukturieren um sich von Passiva durch eine Restrukturierung frei zu machen, muss man jetzt aber eine Restrukturierung wahrscheinlich auch operativ mit angehen – weil durch beschriebene Rohstoffpreiserhöhungen, durch höhere Energiepreise bestimmte Geschäftsmodelle auch operativ unter die Lupe müssen.

Da wird es nicht damit getan sein einfach die Corona-Schulden – so nenne ich sie jetzt einfach mal – auf der Passiv-Seite abzuschneiden, sondern da muss man dann auf operativer Ebene die Dinge angehen, und dafür ist das StaRUG meines Erachtens nicht wirklich tauglich. Das ist der Grund, warum es so wenig Fälle gibt in meinen Augen und weshalb ich auch glaube, dass frühere ansetzen –was ja Ihre Frage war – nicht wirklich durch das StaRUG begünstigt wird.

Matthias Braun: Also man könnte ja sagen, würde grundsätzlich begünstigt werden, aber durch die aktuellen Gegebenheiten – die Sie ja auch beschrieben haben – wir hangeln uns ja leider muss man sagen von Krise zu Krise, da ist ja dann letztendlich also nicht nur der Druck der sich dann erhöht, also um zu restrukturieren oder restrukturieren zu müssen, sondern auch die Bandbreite.

Sie haben es ja gerade beschrieben. Es ist nicht nur die Passiv-Seite die man restrukturieren muss, sondern man muss das operativ auch genau durchschauen was ja sozusagen noch möglich ist, bzw. welches Geschäftsmodell denn überhaupt noch tragfähig ist. Und das ist ja dann auch mit der Punkt den Sie gerade angesprochen haben Herr Piepenburg. Also auch das in dem Falle das sanierte Unternehmen mit einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell ja auch ein wichtiger Bestandteil ist zu einem positiven Sanierungsgutachten.

Um vielleicht sozusagen zurück zu kommen zum Restrukturierungsprozess. Wir haben ja jetzt gerade gehört, dass der Druck enorm zunimmt und das ja dann auch was ist, was Unternehmen gerne vor sich her schieben. Wie können denn Unternehmen dann damit umgehen, wenn eine Restrukturierung dann mal erkannt ist, oder der Bedarf erkannt ist, um dann die Restrukturierung eben auch anzugehen und die entsprechende Expertise dann auch mit an Bord zu holen?

Nick Piepenburg: Ja in solchen Situationen ist es empfehlenswert, wenn dann auch entsprechende Experten mit an Bord geholt werden. Um da mal in Ihrer Analogie von dem Änderungsschmerz zu bleiben, nenne ich das jetzt mal Notarzt für Unternehmen. Das ist ja im StaRUG und im Schutzschirmverfahren und auch in Eigenverwaltungen im allgemeinen so, dass das Management und die Geschäftsleitung am Steuer bleiben und eben die Geschäfte nicht auf einen Insolvenzverwalter übergehen.

Und dann ist es so, dass hier quasi die Position des Notarztes ein CRO übernehmen kann, ein sogenannter Chief Restructuring Officer. Üblicherweise flankiert mit entsprechender Restrukturierungsexpertise durch noch eine spezialisierte Beratung. Der CRO selbst ist in der Regel ein Generalist, der dann aber erster Ansprechpartner für alle Restrukturierungsthemen ist im Unternehmen, bei Gericht, bei den Gläubigern, bei allen Stakeholdern und zum Einen sich um die Umsetzung der Restrukturierungsmaßnahmen kümmert und zum Andern dann aber auch zur persönlichen Haftungsminimierung der anderen Geschäftsführer entsprechend beiträgt.

 Üblicherweise ist es aber so, dass der Strauß, oder die Themen die angepackt werden müssen, so vielfältig sind, dass das von einer Person schwer zu stemmen ist und die vorhandenen Mitarbeiter im Unternehmen, im Controlling, im Finanzbereich und auch auf der operativen Ebene meist im Alltagsgeschäft gebunden sind, sodass hier noch zusätzliche Expertise mit an Bord muss.

Um eben auch ein entsprechendes Projektmanagement aufzubauen – da spricht man dann von PMO, Projektmanagementoffice, was üblicherweise zuerst durch Berater aufgesetzt und eingeführt wird. Um dann möglichst schnell auch aufs Unternehmen übertragen werden sollte, und das ist die übliche Vorgehensweise um dann eben diesem Veränderungsdruck gerecht zu werden. Um das Ganze dann auch in geordneten Bahnen quasi umzusetzen.

Dr. Jürgen Erbe: Dazu kann man vielleicht noch zwei Punkt ergänzen. Zum einen möchte ich nochmal hervorheben, dass der CRO, wenn er denn in ein Unternehmen kommt, in keiner Weise die Geschäftsführung zu ersetzen hat. Das sollte optimalerweise immer ein Miteinander sein, weil sich die operativen Tätigkeiten in einer Restrukturierung nicht in Luft auflösen, sondern die weiterhin erbracht werden müssen. Optimalerweise stellt eine große Aufgabe des CRO dann da, dieses Bindeglied zwischen Unternehmen und den dort bereits eingespielten Einheiten zu dem PMO, dem Projekt-Management-Office, was ja neu an Bord gekommen ist, aber die Restrukturierungsaufgaben wahrnimmt, dass dort eine Verzahnung stattfindet und schnellst mögliche Bearbeitung der neuen Aufgaben auch stattfinden kann.

Dafür ist es notwendig, dass ein CRO mit Restrukturierungserfahrung genau weiß, welche Informationen werden jetzt beim PMO benötigt, und wo greift man diese Informationen normalerweise am besten in den besonderen oder speziellen Unternehmen ab, welches sich gerade in einer Restrukturierung befindet. Und die Verzahnung ist eine der wichtigen Aufgaben in meinen Augen die der CRO zu erledigen hat, und die er aufgrund seiner Erfahrung in diesem Bereich normalerweise auch sehr gut erledigen kann.

Matthias Braun: Das ist auch ein spannender Aspekt diese Verzahnung, also, dass der ja dann sagen wir mal sehr kurzfristig an Bord kommt, aber gleich in laufende Prozesse miteingebunden werden muss, also der CRO und das Team. Das ist eine große Verantwortung und in dem Falle dann auch ja ein großes Aufgabenspektrum. Gerade angesichts der doch zahlreichen Herausforderungen vor denen Unternehmen gerade stehen, weil letztendlich ja Krise, Krise, Krise im Moment eigentlich gilt. Also wir hatten Corona jetzt ist es die Ukraine-Krise, die Energie-Krise kommt dazu. An Sie die Frage, Herr Piepenburg: Wie ist das denn zu bewerten, also diese Dauerfolge von Krisen? Lässt sich da denn sagen, was quasi für die Unternehmen gerade die größte Herausforderung ist, unter den ganzen Herausforderungen vor denen sie stehen?

Nick Piepenburg: Sie sagen es ja – also wir sind gerade in Zeiten, in denen jeden Tag neue Probleme dazu kommen. Sie haben jetzt schon zwei, drei genannt, ich möchte aber nochmal kurz vielleicht skizzieren, was da die wesentlichen Treiber sind.

Die jetzt – man muss hier jetzt glaube ich kurz um die Frage zu beantworten – pauschalisieren, weil natürlich jedes Geschäftsmodell seine eigenen Herausforderungen hat und Probleme mit sich bringt – aber was in der breiten Masse gerade ankommt, sind natürlich zuerst einmal die Effekte aus der Ukraine-Krise. Überall liest man, dass die Preise für Öl, Gas und Weizen steigen. Konkret merken wir das an den Energiekosten im Unternehmen. Also wir haben wirklich Unternehmen wo die Energiekosten sich verzehnfacht haben, oder wo uns Kunden ansprechen und sagen „Unsere Lieferanten liefern nicht mehr, deren Energiekosten sind so hoch, dass sie mittlerweile lieber die Vertragsstrafen zahlen“. Das sind natürlich Krisen auf die auch ein krisenfestes Unternehmen jetzt nicht vorbereitet war und wo der Änderungsdruck schon sehr hoch und signifikant ist. Das ist der eine Punkt.

Der zweite Punkt sind ein bisschen wie die Effekte die wir noch kennen aus der Corona-Krise, also Zuliefernetzwerke, stockende Lieferketten, hier vielleicht noch die Halbleiterkrise mit einzuordnen und das ganze Thema Rohstoffe – also Kupfer, Eisen, etc. – wo wir ja wirklich Effekte haben, die jetzt schon längere Zeit bestehen, aber die in den Auswirkungen auch heute noch massive Effekte mit sich bringen.

Und das dritte Thema ist jetzt gar nicht so kurzfristig, aber auch sehr relevant, ist der Veränderungsdruck der durch die Energiewende kommt. Die ganzen ESG-Themen, die jetzt immer weiter in den Fokus rücken. Ein Veränderungsdruck der schon länger absehbar war, aber an dem man auch merkt, dass der bei vielen jetzt erst ankommt und vielleicht auch zu wenig gemacht wurde in den letzten Jahren. So ist glaube ich, dass jedes Unternehmen von einem der Effekte oder mehreren dieser Effekte zumindest ein bisschen tangiert ist. Sodass ich glaube, dass viele Unternehmen sich aktuell einfach verändern müssen und hier gerade vor besonderen Herausforderungen stehen.

Matthias Braun: Wir sehen ja, dass der Veränderungsbedarf im Moment nicht nur akut sehr hoch ist, sondern auch perspektivisch hoch bleiben wird. Das bedeutet im Umkehrschluss ja auch, dass gerade Ihre Expertise im Bereich Change-Management in Sondersituationen auch Restrukturierungen, Sanierungen, dass der eben noch gefragter sein dürfte als er bereits ist. Und ich finde, dass wir da heute wirklich sehr viele interessante Einblicke und Punkte besprochen haben und ich würde mich auf jeden Fall sehr freuen, wenn wir das bei Gelegenheit fortsetzen könnten und den Austausch dann auch entsprechend fortführen können. Also vielen Dank an Sie beide für die interessanten Einblicke die Sie uns gegeben haben. Vielen Dank und gerne auf ein nächstes Mal.

Dr. Jürgen Erbe: Herzlichen Dank.

Nick Piepenburg: Sehr gerne, vielen Dank.